Klangmassen und alternative Fakten

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Uberschrift 2. Klasse
Die Ludwigsburger Erstaufführung des Musiktheaterstücks „Der König David Bericht” begeistert in der Stadtkirche
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Fulminante Mischung aus Oratorium und Musical: "Der König David Bericht", Kompositionsauftrag von vor 15 Jahren, in der Stadtkirche Ludwigsburg. Foto: Holm Wolschendorf.

Artikel aus der LKZ vom 10. Oktober 2017, Seite 25

Von Harry Schmidt

Ludwigsburg. Was lange währt, wird endlich gut. Vor 15 Jahren erteilte Martin Kaleschke einen Kompositionsauftrag für ein Werk, in dem Klassik und Pop sich gegenseitig befruchten sollen. Am vergangenen Sonntagabend war es schließlich soweit: Der rührige, Neuem gegenüber aufgeschlossene Bezirkskantor konnte die Ludwigsburger Premiere von „Der König David Bericht” leiten, nachdem die Uraufführung bereits in diesem Sommer in der Frankfurter Heilig-Geist-Kirche stattgefunden hatte. Das gleichermaßen unkonventionelle wie eindrückliche Unterfangen sprengt dabei alle Gattungsgrenzen: Zwar arbeitet Ralph Abelein wie im klassischen Oratorium teilweise mit dem Wechsel von Arien, Rezitativen und Chören, unterbricht diese Folge aber immer wieder  durch Spielszenen, was wie manch musikalischer Part dann eher Richtung Musical deutet. Und so nimmt eine niedrige Bühne, gerahmt von einer mit Scheinwerfern besetzten Stahlbrücke, den rechten Altarraum der Stadtkirche ein, während gegenüber das um einige Instrumente einer Rockband, insbesondere Percussion aus dem Fundus der Weltmusik, erweiterte Ensemble der Kammerphilharmonie Frankfurt platziert ist. Im Hintergrund formieren sich die Sängerinnen und Sänger des Ludwigsburger Motettenchors und des Chors der Stadtkirche.

Als Vorlage für das ambitionierte Vorhaben diente der gleichnamige, 1972 veröffentlichte Roman von Stefan Heym. Unter Bezug auf biblische Stoffe behandelt die systemkritische Parabel die Frage der Wahrhaftigkeit im Zusammenhang mit der Machtfrage Salomo (vom Bariton Timon  Führ so markig gesungen wie gespielt) beauftragt den Geschichtsschreiber Ethan (dem der Tenor Heribert Haider genau die richtige Mischung  von Selbstbewusstsein und - zweifel gibt) mit der Ausarbeitung des „einen und einzigen wahren und autoritativen, historisch genauen und amtlich anerkannten Berichts” über seinen Vater, dem legendären König David. Dies allerdings weniger aus Wahrheitsliebe als vielmehr zur Legitimation seiner nicht unumstrittenen Herrschaft. Unweigerlich geraten der gewissenhafte Ethan und seine Frau Lilith (Vanessa Katz) in die Mühlen eines Systems, in dem die Staatsraison zum Selbstzweck wird: Nicht das Aufdecken historischer Wahrheiten steht im Mittelpunkt aller Bemühungen, sondern einzig und allein der Machterhalt. Was bei Erscheinen unschwer als Kritik am DDR-Regime gelesen werden konnte (und auch wurde), hat seitdem eher noch an Aktualität zugenommen.

David, der heldenhafte Kämpfer gegen Goliath, der mit dem Sieg über die Philister seine zukünftige Herrschaft sichert, und David, der Musiktherapeut, der zur Harfe greift, um finstere Gedanken zu vertreiben – sie schlössen sich gegenseitig aus, meint Ethan. Nun, das seien eben „alternative Fakten”, hält ihm Josaphat (Harald Hieronymus Hein), der als Kanzler des Königs zusammen mit dem Heerführer Benaja (Florian Löffler) und dem Priester Zadok (Lukas SIebert) der Kommission vorsteht, die über Ethans Bericht wacht, entgegen. Überhaupt: „Der Schreiber soll schreiben, nicht denken”, dekretiert Zadok. Derart gewitzt verwebt die Texteinrichtung des Stuttgarter Deutsch- und Musiklehrers Helmar Breig Heyms Roman mit der Gegenwart. Durch die Bank fulminant wie die sängerischen Leistungen der Solisten auch ihre darstellerischen Qualitäten – wenn Josaphat, Benaja und Zadok Arm in Arm verschränkt einen Cancan „im Labyrinth der Macht” anstimmen, passt auch zwischen die tanzenden Schauspieler kein Blatt Papier –, lediglich die anspruchsvolle technische Umsetzung mit Funkmikrofonen trübt hin und wieder leicht den ansonsten fabelhaften EIndruck der Inszenierung von Uwe Hausy.

Hervorragend besetzt auch die beiden Sprechrollen der Hexe von En-Dor (Antonia Keßler) und des Hauptmanns (Lukas Schopf). Großartig, wie Kaleschke, unterstützt von einer klugen Lichtregie (Anne Himmelmann) die gewaltigen Klangmassen von Abeleins dichter, mehr als einmal an Bernstein oder auch an Weill erinnernder, aber nie epigonal wirkender Partitur realisiert. Was folgt, sind minutenlanger Applaus und Bravos der rund 150 Besucher für alle Beteiligten der fabelhaften Vorstellung.

 

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