Von Heike Rommel
Mit dem Ludwigsburger Motettenchor und dem Karlsruher Barockorchester erklang am Freitag eine beispielhafte Lesart der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach in der evangelischen Stadtkirche. Zu alter Musik auf historischen Instrumenten erlebte das das Publikum begnadete Solisten und meisterhafte Turba-Chöre als szenische Darsteller eines Inhalts, der bis heute nicht an Aktualität eingebüßt hat.
Die Inszenierung unter der musikalischen Leitung von Fabian Wöhrle war spannungsgeladen, sorgte aber nach dreieinhalb Stunden auch für die Entspannung vom Erlebten. Mit dem Karlsruher Barockorchester hatte der 40 Stimmen starke Chor eine zuverlässige und zugleich außergewöhnliche instrumentale Basis.
Solisten mit großer Wirkung
Das galt auch für die Solisten. Kai Preußker aus Dresden hat als Mitglied des dortigen Kreuzchores keine Mühe, den Worten Jesu vor gehaltenen Streicher-Akkorden Ewigkeit zu verleihen. Die Altistin Dorothea Zimmermann, ebenfalls aus Dresden, gilt in ihrer Heimatstadt als Spezialistin für alte Kirchenmusik. Der Tenor Johannes Kaleschke aus Speyer kann im oratorischen Bereich vom Barock bis zur Moderne alles singen und büßte als Evangelist mit dem größten Textpart scheinbar überhaupt nichts an Stimme ein. Die Sopranistin Heike Porstein trägt als Mitglied des Deutschen Nationaltheaters Weimar Händels Messias und Haydns Schöpfung nicht minder erfolgreich in die ganze Welt hinaus als die Matthäuspassion in Ludwigsburg. Daniel Raschinskys sonorer Bass, für Bach-Werke wie geschaffen, war auch schon unter Frieder Bernius und Helmuth Rilling zu hören.
Aufgeteilt in Doppelchor und Doppelorchester ziehen die Akteure ihr Publikum in der Stadtkirche einfühlsam hinein in die dynamischen Turbulenzen der alten Psalmen mit ihren eindringlichen Wiederholungen. Chor eins mimt das weltliche Jerusalem und Chor zwei das religiöse. Die Vokalisten heben und senken sich körperlich mit der tonalen Vorgabe, wiegen sich in Verzweiflung und in Schuldgefühlren, als der Evangelist in hoher Stimmlage die Kreuzigung verkündet.
Im zweiten Teil findet der Motettenchor das richtige Volumen und die passende Schärfe der Staccati, um das schauerlich-grausame "Kreuzige ihn" zum Ausdruck zu bringen. Die Dumpfheit gezupfter Kontrabässe steht für die Zerschlagenheit des Volkes und die Geschlagenheit der Anhänger Jesu.
Zwischen der Anklage vor den Hohepriestern und dem Prozess vor Pilatus singt sich die Altistin, aufgestachelt von der Hetze der Menge gegen den König der Juden, klagend in den Höhepunkt des dramatisch-epischen Werkes, die „Erbarme-DIch“-Arie. In verschiedenen Strophen und Harmonisierungen erklingt das „Haupt von Blut und Wunden“. Als Jesus am Kreuz die letzten Worte spricht, verstummen die Streicher und die Zuhörer senken die Köpfe, Pochende Bässe beschwören das Unheil herauf.
Impulse für das Leben heute
„Wir bitten um einen Moment der Stille im Anschluss an die Aufführung“ hatte Fabian Wöhrle ins Programmheft geschrieben. Die Stadtkirche schwieg. Jeder Zuhörer bekam seinen Moment der inneren Einkehr. Wie tief das Erlebte das Publikum berührt und ihm ein Nachdenken über einen Alltag beschert hat, in dem das Thema Umgang mit Menschen, die anders sind, in jedem Augenblick überall vorkommt, zeigte sich dann am frenetischen, dankbaren Applaus.
Diese Ludwigsburger Lesart der Matthäuspassion hätte nicht besser zu Ludwigsburg passen können; Barocke Musik mit Bezug zu einer modernen Stadtgesellschaft, die aus kulturellen Veranstaltungen Impulse für das öffentliche Leben zu ziehen vermag.
(aus: Ludwigsburger Kreiszeitung lkz.de, vom 7. April. Dem Artikel war noch ein Foto mit dem gesamten Ensemble begefügt.)