Mit dem Ludwigsburger Motettenchor, dem Chor und Orchester der Stadtkirche und einem Solistenquintett gelang Bezirkskantor Fabian Wöhrle am Karfreitagabend eine formidable Wiedergabe von Felix Woyrsch „Passions-Oratorium“ in der Ludwigsburger Stadtkirche. In der Region dürfte es die erste Aufführung seit mindestens 100 Jahren sein.
LUDWIGSBURG. Feierlicher Ernst, schlichte Demut und innig durchglühtes Pathos halten sich die Waage in Felix Woyrschs Opus 45: Palestrina, Schütz und Bach standen ebenso unverkennbar Pate für das großformatige Sakralwerk des 1860 im schlesischen Troppau geborenen Komponisten wie Beethoven, Wagner und Brahms – und doch umfängt ein Karfreitagzauber ganz eigenen, von zutiefst humanistisch-protestantischen Geist erfüllten Gepräges das 1899 in Frankfurt uraufgeführte „Passions-Oratorium”.
Seinem Komponisten, der sich die Welt der Musik autodidaktisch erschlossen und mehr als vier Jahrzehnte als Chorleiter, DIrigent und städtischer Musikdirektoor das musikalische Leben in Altona geprägt hat, verhalf es seinerzeit nationale Anerkennung. Aufführungen in rund 50 deutschen Städten zeugen davon: „Nach der Veröffentlichung dieses Werkes zählt Woyrsch zu den bedeutendsten lebenden Tondichtern“, notierten die Hamburger Neueste Nachrichten am 7. Dezember 1900, einen Tag nach der Hamburger Erstaufführung. 1933 wurde Woyrsch zwangspensioniert, 1944 starb er verarmt in Hamburg-Altona. Bis in die Neunzigerjahre hinein war sein musikalisches Vermächtnis fast komplett der Vergessenheit anheimgefallen, seitdem hat eine behutsame Wiederannäherung an sein Werk eingesetzt, die jeoch meistenteils auf die Hansestadt beschränkt geblieben ist.
Dass Bezirkskantor Fabian Wöhrle mit dem „Passions-Oratorium” nun ein hierzulande mittlerweile völliig unbekanntes Werk – regional mutmaßlich zum ersten Mal nach einem knappen Jahrhundert Pause – in Ludwigsburg auf den Spielplan der Stadtkirchenmusik setzte, durfte im Vorfeld getrost als Wagnis bezeichnet werden. Doch siehe da: Ausgezeichnet besucht präsentiert sich das Gotteshaus an diesem Karfreitagabend. Das ist umso erfreulicher als die Darbietung des großformatigen Werks durch die 90-köpfige Sängerschar des Ludwigsburger Motettenchor und des Chors der Stadtkirche, das Orchester der Stadtkirche und ein Solistenquintett zu großer Dankbarkeit jedem und jeder einzelnen Beteiligten gegenüber verpflichtet: Welch ein emotional bewegendes, eindringliches Erlebnis hier in einer grandiosen Gemeinschaftsleistung realisiert wurde!
Er habe seinen Weg nur eingeschlagen, um solch eine Passionsmuik zu schreiben, soll Woyrsch selbst zu Protokoll gegeben haben. Man nimmt es ihm voll und ganz ab: Sowohl die überaus raffinierte, kenntnisreiche Montage seiner Passionsharmonie – im Gegensatz zu den ansonsten klar erkennbaren barocken Vorbildern (etwa die „Matthäus-Passion” im doppelchörigen Eingangschor) kombiniert Woyrsch ähnlich wie Brahms in seinem Requiem drei Dekaden zuvor Bibelworte mehrerer Evangelisten, teilweise angereichert mit Stellen aus dem Alten Testament – als auch in der spätromantisch gestimmte, in der Instrumentierung an Berlioz und Wagner (Tuba,, Englischhorn, kontrafagott, Harfe, Große Trommel) geschulte Tonsatz zeugen von der leidenschaftlichen Hingabe des Urhebers zeugen von der leidenschaftlichen Hingabe des Urhebers, Mit seinem sehr gut einstudierten und ausgezeichnet disponierten Ensembles gelingt Wöhrle eine formidable Wiedergabe dieser lohnenden Wiederentdeckung.
Susanne Langbeins Sopran-Arioso „Sei getrost bin in den Tod“ (von Mendelssohn Bartholdy im „Paulus“ wiederum für Tenor vertont) mit der obligaten Solovioline von Friderike Hess ist ein strahlender Höhepunkt. Auch Christian Georg als Evangelist ragt mit bestechendern Artikulation und schlankem, noblem, mühelos ansprechendem Tenor etwas heraus, während man Sabine Czinczel (Alt) und Florian Schmitt-Bohm (Bariton) als Jesus ein wenig mehr Durchsetzungsvermögen wünscht. Profund sonor hingegen Malte Kebschull (Bass) in den kleinen Partien (Hohepriester, Pilatus, Übeltäter). Auf gesungene Choräle verzichtet Woyrsch. Stattdessen geistert der Choral „O Lamm Gottes, unschuldig“ nach Art eines Wagner'schen Leitmotivs durcn den Orchestersatz seines Oratoriums. Langanhaltende, ergriffene Stimme, dann verdienter, jubelnder Beifall für alle Beteiligten.
aus: Ludwigsburger Kreiszeitung vom 22. April 2025, von Harry Schmidt.